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«Es ist fünf nach zwölf»: Luzerner Spitäler stehen kurz vor Triage

© CH Media Video Unit / Melissa Schumacher

«Es ist fünf nach zwölf»: Luzerner Spitäler stehen kurz vor Triage

Die Situation in den Luzerner Spitälern spitzt sich zu: Die IPS-Kapazitäten werden knapp und die Verlegungsmöglichkeiten zwischen den Spitälern – auch über die Zentralschweiz hinaus – sind weitgehend ausgeschöpft. Es fallen deutliche Worte.
Publiziert am Di 28. Dez. 2021 10:16 Uhr

Hinzu komme die aktuell rasante Verbreitung der Omikron-Variante. Im Einzelfall können Triage-Entscheide in der Intensivmedizin notwendig werden, schreibt die Gesundheitsdirektion in einer Mitteilung am Dienstagmorgen.

IPS-Stationen an Belastungsgrenze

«Wer aufgrund einer Covid-Infektion auf intensivmedizinische Behandlung angewiesen ist, bleibt in der Regel mehrere Wochen auf der Intensivstation», so Prof. Dr. med. Christoph Henzen, Leiter Zentrum Luzern und Leiter Pandemiestab des Luzerner Kantonsspitals (LUKS). Damit die nötigen Ressourcen für diese Patientinnen und Patienten bereitgestellt werden können, seien Einschränkungen im Operationsbetrieb unumgänglich. «Das führt zu Engpässen in der dringlichen Behandlung von schwerkranken Non-Covid-Patientinnen und -Patienten», sagt Henzen und nennt Herz-, Tumor- oder neurochirurgische Eingriffe als Beispiele, da diese zwingend eine Behandlung auf der Intensivstation nach sich ziehen. «Es ist die Ruhe vor dem Sturm», sagt Henzen. Die Mehrzahl der Covid-Patienten sei ungeimpft.

© Kanton Luzern / Screenshot
- Die freien Betten werden in der Schweiz knapper.

Sofortmassnahmen am LUKS

Als Sofortmassnahme werden insbesondere am Standort Wolhusen zusätzliche Kapazitäten für Corona-Patientinnen und -Patienten geschaffen, die keine intensivmedizinische Behandlung benötigen. Der Standort Sursee befinde sich seit Wochen an der Belastungsgrenze und der Standort Luzern habe die OP-Kapazität bereits um rund 30 Prozent reduzieren müssen. Um den Operationsbetrieb aufrecht erhalten zu können, reduziert der Standort Luzern die Intensivbetten von 24 auf 22. Dafür werden Intensivbetten mit Beatmungskapazität, die für die Behandlung von Corona-Patienten besonders relevant sind und eine höhere Personaldichte benötigen, von 14 auf 16 erhöht.

Besuchsverbot am LUKS und im St. Anna

Als zusätzliche Massnahme führen sowohl das Luzerner Kantonsspital wie auch die Hirslanden Klinik St. Anna per Mittwoch, 29. Dezember ein Besuchsverbot ein. Dieses gilt bis auf Weiteres. Ausnahmen sind in besonderen Patientensituationen möglich und gelten für:

  1. Partner von gebärenden Frauen rund um die Geburt und im Wochenbett
  2. Nahe Angehörige bei sterbenden oder unterstützungsbedürftigen Menschen
  3. Eine Begleitperson bei ambulanten Patientinnen und Patienten, falls medizinisch notwendig
  4. Kinderspital des LUKS: Eltern und Geschwister

Weitere Massnahmen wären möglich

Als Folgemassnahmen für den Fall einer Zuspitzung der Situation wird eine Konzentration der IPS-Kapazitäten der Luzerner Regionalspitäler am Standort Sursee vorbereitet. Diese Massnahme hätte jedoch die Verschiebung von Personal zur Folge. Um bestmöglich auf die aktuelle Situation und Weiterentwicklung zu reagieren, prüfe der Pandemiestab weitere Massnahmen an allen Standorten, so der Kanton.

Gefahr der Virusmutation Omikron

Auch in der Hirslanden Klinik St. Anna gestaltet sich die Situation zunehmend schwierig und die OP-Kapazitäten sind eingeschränkt. «Wir sind seit Wochen personell und infrastrukturell an den Kapazitätsgrenzen», sagt Direktor Martin Nufer. «Vor diesem Hintergrund macht uns vor allem die rasante Ausbreitung der Omikron-Variante Sorgen. Sie überträgt sich noch einmal deutlich schneller als die bereits sehr ansteckende Delta-Variante, was in kürzester Zeit zu einer explosionsartigen Zunahme der Fallzahlen führen könnte.» Und selbst wenn es Anzeichen dafür gäbe, dass es bei Omikron seltener zu schweren Verläufen kommt, die eine Hospitalisierung zur Folge haben, könnte die schiere Menge an gleichzeitig erkrankten Personen die Spitäler über die Belastungsgrenze hinaus bringen, so Nufer.

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- Omikron als dominante Variante.

Viele Mitarbeitende könnten ausfallen

Aktuell sei es wegen der Zusammenarbeit der in die Behandlung von Corona-Patientinnen und -Patienten involvierten Spitäler im Kanton Luzern nach wie vor möglich, für alle Personen ein Spitalbett und eine adäquate Betreuung bereitzustellen. Aber schon im Januar könnte sich das ändern, sollten in einer Omikron-Welle auch viele Mitarbeitende aus den Spitälern gleichzeitig ausfallen. «Ich bin überzeugt, wir werden eine sechste Welle sehen.» Diese werde insbesondere auch durch Personalausfälle charakterisiert. Weil das Personal wegen Omikron ausfalle oder schlicht auch wegen der massiven Arbeitsbelastung. «Wir haben eine Reihe von Mitarbeitern, die ihre Maske an den Nagel hängen.»

Das sagt der Luzerner Gesundheitsdirektor zur Triage:

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Triage-Entscheide: «Allenfalls müssen Leben geopfert werden»

Mit den getroffenen Massnahmen versuchen die Spitäler den Zeitpunkt von Triage-Entscheiden soweit als möglich hinauszuzögern. Falls Triage-Entscheide notwendig werden, müssen sie nach geltenden Richtlinien und transparent getroffen werden. «Wir müssen uns auch im Kanton Luzern auf die Eventualität von harten Triage-Entscheide vorbereiten – nicht nur in den Spitälern, sondern auch als Gesellschaft», sagt Dr. med. Andreas Fischer, Co-Leiter des Ethikforums des LUKS. «Allenfalls müssen Leben geopfert werden.» Dabei dürften aber weder die Erkrankungsart (Covid- oder Non-Covid) noch der Impfstatus eine Rolle spielen. Entscheidend sei die kurzfristige medizinische Prognose sowie die zu erwartende Behandlungsdauer. «Das oberste Gebot ist: Möglichst viel Leben retten!» Aber: «Triage ist Ultima ratio», sagt Fischer. Sie dürfe nur als letzte Möglichkeit in Betracht kommen.

Bei einem Triage-Entscheid muss aufgrund fehlender Kapazitäten entschieden werden, welche Patientin oder welcher Patient weiter intensivmedizinisch behandelt werden kann. Hierbei unterstützen die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW). Weder die Erkrankungsart (Covid- oder Non-Covid) noch der Impfstatus dürfen dabei eine Rolle spielen. Entscheidend ist die kurzfristige medizinische Prognose sowie die zu erwartende Behandlungsdauer. «Auch wenn wir uns bestmöglich vorbereiten und sehr sorgsam vorgehen, handelt es sich im Einzelfall immer um sehr schwierige Entscheidungen für die Patienten und ihre Angehörigen, und für das medizinische und pflegerische Personal», so Fischer.

Impf- und Booster-Aufruf und Vorsicht beim Wintersport

Der Luzerner Gesundheitsdirektor Guido Graf ruft der Bevölkerung den Ernst der Lage in den Spitälern in Erinnerung. «Die ganze Bevölkerung und die Menschen in den Spitälern im Besonderen sind seit fast zwei Jahren im Ausnahmezustand.» Graf wird zu Beginn seines Referats ganz deutlich: «Es ist 5 nach 12» in den Spitälern. Das Gesundheitssystem werde an die Grenzen stossen. In seinem Schlussreferat betont der Gesundheitsdirektor noch einmal, was er für den richtigen Weg hält: «Wir brauchen schweizweit schärfere Massnahmen!» Ein Aufruf nach Bern wieder den Lead zu übernehmen.

Er appelliert nochmals mit Nachdruck, dass jede und jeder Einzelne als Teil dieser Gesellschaft gefordert ist und dass jede und jeder seinen Beitrag leisten müsse: «Die Impfung ist und bleibt der Schlüssel in der Bewältigung der Corona-Pandemie. Ich rufe alle ungeimpften Personen dazu auf, sich impfen zu lassen.» Personen, die sich bereits geimpft haben, sollen sich eine Booster-Impfung verabreichen lassen, um maximal geschützt zu sein. «Mit Blick auf die Situation in den Spitälern ist es nun zudem umso wichtiger, sich beim Wintersport vorsichtig zu verhalten und gesundheitliche Risiken zu vermeiden», so der Gesundheits- und Sozialdirektor.

(red.)

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